Hallo, Rom? Wir haben ein Problem.

Vorbemerkung 1:
Ein wenig seltsam ist es schon, wenn gerade ich im Blog „Frauen in der Kirche“ einen Beitrag verfasse. Denn ich bin nicht nur Mann, sondern auch Priester. Als Pfarrer und Dechant bin ich ganz offensichtlich Teil des Problems. Aber hoffentlich auch einer derjenigen, die zur Lösung des Problems „von innen“ beitragen können. Trotz allem.

Vorbemerkung 2:
Zur neuen Instruktion der vatikanischen Kleruskongregation hat es schon eine ganze Reihe von Kommentaren gegeben. Viele Theolog*innen, Bischöfe (wobei mir bisher eine klare Äußerung österreichischer Bischöfe nicht bekannt ist) und andere haben ihren Eindruck und ihre Irritation klar ausgedrückt. Die meisten von ihnen stehen dem Text kritisch bis ablehnend gegenüber. Ich auch. Der Vielzahl kompetenter Anmerkungen möchte ich hier keine weiteren hinzufügen, aber ein paar ganz persönliche Gedanken festhalten, die versuchen, den größeren Problemhorizont aufzuzeigen.

Zunächst einmal: Das Dokument überrascht nicht. Es folgt vielmehr einem bekannten und über Jahrzehnte eingeübten vatikanischem Schema. Einer durchaus beeindruckenden Zusammenstellung von Zitaten früherer und des aktuellen Papstes, die von der Notwendigkeit eines missionarischen Aufbruchs der Pfarren sprechen, folgt in einem zweiten Teil (der mit dem ersten kaum zusammenhängt) eine Zusammenfassung des kirchenrechtlichen Status quo. Einigen vatikanischen „Insider-Berichten“ ist zu entnehmen, dass dieser Text schon seit längerem in und auf den Schreibtischen der Kongregation lag und nun wohl auch deshalb veröffentlicht wurde, weil der Präfekt der Kongregation kurz vor dem Ruhestand steht und diesen über viele Jahre (und zwei Pontifikate) entstandenen Text noch fertigstellen wollte.
Dabei wurde das Dokument (bewusst?) zu einer Zeit veröffentlicht, in der nicht nur in Rom die sommerliche Ruhe vorherrscht. Man hätte erwarten können, dass dieser Text von niemandem wirklich gelesen wird. Also eine kuriale Pflichtübung, die am besten unbemerkt bleibt – das könnte die Strategie gewesen sein. Aber auch wenn in Rom alle im sommerlichen Hitzekoma liegen: In nördlicheren Gefilden werden solche Texte trotzdem wahrgenommen. Und nicht nur das: Man bezieht sogar inhaltlich Stellung dazu und artikuliert deutlichen Widerspruch. Selbst der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper kritisiert in einem grundsätzlich zustimmenden Kommentar, dass der Veröffentlichung des Papiers keine Beratungen mit Vorsitzenden von Bischofskonferenzen vorausgegangen waren. Das hätte „weniger Ärger verursacht und hätte der synodalen Idee des Papstes besser entsprochen“. Zudem würden im zweiten Teil der Instruktion ausgrenzende Worte verwendet. „Da hätte ich mir eine mehr positive, ermutigende und anerkennende Sprache gewünscht.“ Das hätten engagierte Laien, insbesondere Frauen, verdient.

Ich bin kein Kurienkardinal und darf daher deutlicher werden: Für mich ist der Text vor allem ärgerlich, weil er von einem sehr angstbesetzten Kirchen- und Priesterbild geprägt ist. Beim Lesen wurde mir klar: so ein Priester, von dem im Dokument die Rede ist, will und kann ich nicht sein. Besonders ärgert mich die völlige Ablehnung geteilter Verantwortung, etwa in Leitungsteams. Vielmehr wird dauernd betont, dass ausschließlich der Pfarrer als geweihter Priester leitet und alle anderen ihm „helfen“ sollen. Und wir sprechen hier nicht nur von Liturgie und Sakramentenspendung, sondern von jeglicher Leitung in Pfarren und kirchlichen Strukturen. Eine Form kirchlicher Gewaltenteilung ist nicht vorgesehen. Auch wenn es vehement bestritten wird: Das ist Klerikalismus in Reinkultur.

Hierzu mein biographischer Hintergrund: Seit 18 Jahren bin ich Priester, vorher habe ich etwa die gleiche Zeit als getaufter und gefirmter Christ in meiner Heimatpfarre und anderen Pfarren tätig sein dürfen. In dieser Zeit habe ich das Arbeiten in Teams und mit geteilter Verantwortung kennen- und schätzen gelernt. Auch nach meiner Priesterweihe habe ich immer großen Wert darauf gelegt, Teil von gut funktionierenden Teams zu sein und nicht der Chef, der bestimmt und Anweisungen gibt. Besonders in meiner Zeit bei der katholischen Jugend habe ich bewusst die Verantwortung nicht nur anlassbezogen delegiert, sondern Leitung dauerhaft und institutionell abgegeben. So war völlig klar, dass ich zwar der Jugendseelsorger, aber nicht der Leiter der Jugendkirche oder der Dienstvorgesetzte der Mitarbeiter*innen war. In dieser Zeit habe ich die kollegiale Mitarbeit engagierter Mitarbeiter*innen – und hier vor allem von kompetenten Frauen – erlebt. Und es hat meinem Selbstbewusstsein als geweihtem Priester nicht geschadet, dass ich Mitglied und nicht Chef des Teams war. 

Welche Angst spricht aus dem vorliegenden Dokument, wenn jetzt nicht einmal der Begriff „Team“ mehr verwendet werden soll oder eine kollegiale Leitung, in der der Priester einer von mehreren gleichberechtigten Leitungspersonen ist, als unmöglich dargestellt wird! Ist es die Angst, Macht abzugeben, Verantwortung zu teilen und letztlich mit anderen Getauften auf einer Stufe zu stehen? Also die Verlustangst davor, als Priester nicht mehr herausgehoben zu sein? In dem Dokument dominiert deutlich dieser ängstliche Klerikalismus. Das wird auch durch die Gewichtung des Textes ersichtlich: Immerhin 13 Artikel des Dokuments beschäftigen sich (im Abschnitt VIII) mit den Aufgaben der Priester. Vier Artikel befassen sich mit dem Wirken der Diakone und zwei mit dem der Ordensleute. In Summe 19 Artikel sprechen also über Kleriker. Gerade zwei Artikel tragen die Überschrift „die Laien“. Und die stehen natürlich an letzter Stelle, obwohl immerhin dann doch festgestellt wird, dass sich „die Pfarrgemeinde […] vor allem aus Laien zusammen“ setzt.

Peinlich genau wird dort aufgeführt, was Laien alles nicht dürfen. Letztlich entscheidet der geweihte Priester. Mitsprache durch Gremien ist immer nur beratend, nie bindend. Betont wird das Gegenüber und die Unterordnung unter den Leiter (der natürlich Priester sein muss), aber nie das Miteinander und die gemeinsam gelebte Verantwortung. Dafür wird in einer etwas skurrilen Bemerkung festgehalten, dass ein Priester zurück ins Elternhaus ziehen soll, wenn es keine Wohnmöglichkeit im Pfarrhof gibt. Offensichtlich werden wir Priester für relativ lebensuntüchtig gehalten, wenn es um die Organisation des eigenen Haushalts geht. Aber Hauptsache, wir sollen alleinverantwortlich die Pfarre leiten.

Es ist die hier festgeschriebene Machtfülle, die letztlich auch die Strukturen schafft, diese Machtposition zu vielfältigem Missbrauch einzusetzen. Die klerikale Überhöhung geweihter Männer führt nicht nur zur Selbstüberschätzung der Amtsträger, sondern auch zur fehlenden Kontrolle, wie diese ihr Amt ausüben. Geistlicher und sexueller Missbrauch wird durch solche Strukturen ermöglicht und begünstigt. Die seelische und körperliche Integrität von Gläubigen wird auf dem Altar des Klerikalismus geopfert.

In Summe geht das Papier komplett an der Realität der Pfarren vorbei, wie einige Bischöfe deutlich festgestellt haben. Es demotiviert und frustriert die in der Pastoral (noch) engagierten Menschen und transportiert darüber hinaus ein theologisch defizitäres Bild von Kirche, wenn sie den geweihten Priester als einzigen Bezugspunkt der Pfarre darstellt. Der Einschätzung von Paul Zulehner, der Text stelle „eine Art pastoraltheologisches Museum“ dar, ist vollinhaltlich zuzustimmen.

Meine große Sorge ist, dass sich teamunfähige Pfarrer mit Defiziten in der Leitungskompetenz von diesem Dokument bestätigt fühlen und ihr Zerstörungswerk fortsetzen können, indem sie engagierte Personen weiter ignorieren und aktiv vertreiben. Sie können sich ja jetzt „auf Rom berufen“.
Meine trotzdem noch lebendige Hoffnung ist, dass sich viele engagierte getaufte, gefirmte und geweihte Christ*innen von ihrem Einsatz für die Kirche in den Pfarren nicht abbringen lassen, auch „wenn ihr Engagement nur misstrauisch beäugt und von oben herab bewertet wird“ (Bischof Peter Kohlgraf). Ermutigung dazu kommt aber leider von diesem römischen Text nicht.

Gregor Jansen ist Pfarrer und Dechant in Wien 8/9

9 Kommentare

  1. Es ist erfreulich, dass es bei den jüngeren Mitbrüdern noch welche gibt, die eine konzilsgemäße Theologie vertreten, was immer seltener wird. Eine fundamentalistische Theologie und Pastoral feiert fröhliche Urständ.

    Ernst Schlaffer
    em. Pfr, Jg.1940

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  2. Danke – Dechant Gregor Jansen für diese deutlichen Worte! Ich stimme dir voll zu. Unsere Bischöfe sind scheinbar im Sommerschlaf, keine Reaktion zu lesen. Die Kirche bzw auch unsere Amtsträger – auch unser Leitungsteam der Erzdiözese Wien – haben sich schon sehr weit vom Boden der Realität, der Lebenswirklichkeit der Menschen, entfernt. Die Hierarchie wird immer mehr gelebt und manche Entscheidungen so getroffen. Zulehners Urteil ist fast noch zu milde.

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  3. Vor 60 Jahren wurde ich Messdiener und bin seit dieser Zeit in vielen Funktionen in unserer Pfarrei tätig ( von der früheren Jugendarbeit über 22 Jahre intensive Hilfe bei der Formvorbereitung, bis heute Lektoren-/Kommunionhelferdienst (Kranken- und Hauskommunionen) und einiges mehr. Ausgelöst durch die Begeisterung im Pontifikat Johannes XXIII. Meine Verantwortung als getaufter und gefirmter Christ. Alle Schubladen, die der damalige Papst geöffnet hat, wurden mehr und mehr wieder zugeschoben und ‚ versiegelt‘. Darum wundert mich das jetzige Dokument nicht. Aber: bis heute hatte ich Glück mit allen Pfarrern meiner Gemeinde, es war und ist weiterhin eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Priester als sog. ‚primus inter pares‘.

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  4. „Papier ist geduldig!“ und „Der lügt wie gedruckt!“ waren Sprüche meiner Mutter
    Was steht als wichtigstes Gebot in der Bibel?
    Gott wurde Mensch, von daher wird ihm auch nichts menschliches fremd sein.

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  5. An Gregor Jansens Beitrag ärgert mich ein Satz : “ Ich bin kein Kurienkardinal und darf daher deutlicher werden“… Also warum soll ein Kurienkardinal nicht „deutlich werden“ dürfen?? Mit diesem Satz akzeptiert Jansen die ganze Verlogenheit und Scheinheiligkeit der kirchlichen Hierarchie .
    Diese Leute SOLLEN DEUTLICH WERDEN und sich nicht immer verstecken! In meinem vorigen Kommentar habe ich schon diese Gummiwand-Mentalität erwähnt. Dieser Begriff passt auch hier. Ändern will/kann man gar nichts.

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    • Liebe @rotegraefin, Wir haben drei Kommentare von Ihnen nicht genehmigt, da diese Kommentare, aus unserer Sicht, die Personen persönlich angreifen. Das wollen wir auf dieser Seite nicht unterstützen. Vielleicht kann man diese sachlich formulieren. Mit freundlichen Grüßen, Team Frauen in der Kirche

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  6. Dieses Papier trägt weiter dazu bei, dass sich (Amts-) Kirche immer weiter von der Lebenswirklichkeit der Menschen und vor allem von den Notwendigkeiten in unseren Pfarren entfernt. Herzlichen Dank Pfarrer Jansen für diese deutlichen Worte.

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  7. Ich stimme dem Artikel von Gregor voll zu. Wieder zeigt sich nicht nur die Doppelboedigkeit dieses Papiere, sondern auch die Weltfremdheit. Die sogenannte Amtskirche legt
    sich durch Dogmatik und Kirchenrecht permanent Fesseln an, aus denensie sich kaum noch befreien kann. Zulehner ist mit seinem Urteil über dieses Papier noch viel zu milde gewesen.

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  8. Auch mich als Getauften und Gefirmten – und die werden im Bistum Köln immer wieder angesprochen – hat der römische Text enttäuscht

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